Verbotene Früchte – Einschränkung der Freiheit & Reaktanz – Psycho-Path WordPress-Seite (2024)

PAULA BÖHLMANN. Trotz Verbot in den Schrank geschaut, um das Geburtstagsgeschenk schon einen Monat vorher zu kennen. Trotz der glücklichen monogamen Beziehung einen Flirt genossen. Trotz des elterlichen Verbots mit den Freunden die erste Zigarette probiert. Man könnte nun mit Freud argumentieren und sagen, dass das ÜBER-ICH einfach zu schwach sei, um sich gegen das übermächtige ES durchzusetzen, doch ich glaube, das ist es gar nicht. Es fühlt sich anders an. Es fühlt sich nicht an, als habe das ÜBER-ICH den Kampf verloren. Es ist vielmehr, dass es gar nicht kämpfen wollte. Es war eine bewusste Entscheidung auszubrechen und das Verbotene zu tun. Aus diesem Grund muss man sich fragen, ob man all die Sachen wirklich „trotz“ des Verbots oder gerade „wegen“ des Verbots getan hat.

Forbidden fruit oder tainted fruit?

Mit dieser Frage beschäftigten sich Bushman und Stack 1996 [1] am Beispiel der Faszination von Gewaltdarstellung im Fernsehen. Hierbei sollte herausgefunden werden, wie sich die Warnung vor Gewalt im jeweiligen Film auf das Interesse der Zuschauer auswirkt.

Laut der „Tainted-Fruit“-Hypothese (verdorbene Frucht) sollte die Warnung einen abschreckenden Charakter aufweisen, sodass Filme mit Gewaltdarstellung weniger attraktiv erscheinen.

Die „Forbidden-Fruit“- Hypothese (verbotene Frucht) postuliert dagegen, dass die Attraktivität des Fernsehprogramms für die Person selbst durch die Warnung vor Gewalt gesteigert wird.

Dazu wurde untersucht, inwiefern die Meinung, wie interessant und sehenswert ein Film für sich selbst und andere sei, dadurch beeinflusst wird, ob es entsprechende Warnhinweise bezüglich der gezeigten Gewalt gibt. Des Weiteren wurde auch überprüft, ob es einen Unterschied macht, ob die Warnung von US. Surgeon General, dh. der Leitung des Gesundheitsdienstes der USA, oder einer weniger respektierten Quelle kommt.

Die Ergebnisse der Studie deuteten gegen die „Tainted-Fruit“-Hypothese und für die „Forbidden-Fruit“-Hypothese. Anders als bei der Tainted-Fruit-Hypothese angenommen, wurde das eigene Interesse an dem Film durch die Warnhinweise nicht geringer. Im Gegenteil. Das eigene Interesse an dem Film wuchs sogar. Die Einschätzung, wie sehenswert der Film für andere sei, wurde von den Warnlabeln nicht beeinflusst. Auch das spricht für die „Forbidden-Fruit“-Hypothese, da es bei dieser darum geht, selbst gegen Verbote zu verstoßen. Verstärkt wurde dieser Effekt, wenn die Warnung von US. Surgeon General ausgesprochen wurde. Die Filme, vor denen die staatliche Behörde warnte, erschienen den Probanden noch attraktiver. [1]

Hierbei handelt es sich nur um eine Studie von vielen, die den Reiz des Verbotenen demonstriert. Was also macht die verbotenen Früchte so süß?

Neugier

Auch ich selbst machte mit der Anziehungskraft der Altersbeschränkung Erfahrung. Es gab eine Zeit, mit 15, als ich die Filme, die ich mir ansah, nur nach einem Kriterium auswählte: Es musste FSK 18 sein. Das lag nicht daran, dass diese Filme für gewöhnlich über eine überragende Storyline verfügten. Meist war das Gegenteil der Fall. Aber mich reizte etwas anderes: Ich war neugierig zu erfahren, was in diesem Film geschah, dass er diese Einstufung erhalten hat.

Mittlerweile bin ich über 18 und frage mich bei jedem FSK18-Film, ob ich mir das wirklich zumuten möchte, aber damals zog es mich zum großen roten Kreis auf der DVD-Hülle wie die Motte zum Licht. Sogar auf die Gefahr hin, dass ich der Nacht kein Auge zutat.

Dass unser Neugierverhalten auch teilweise mit negativen Konsequenzen für uns einhergeht, zeigte eine Studie von Hsee und Ruan aus dem Jahre 2016 [2]. Hierbei wurde Probanden gesagt, dass sie die vermeintliche Wartezeit auf das eigentliche Experiment mit ein paar Scherzstiften, die aus einem voran gegangenen Experiment übriggeblieben seien, überbrücken könnten. Es gab in der Box drei Arten von Stiften: Die mit dem roten Punkt, die auf jeden Fall einen Elektroschock absetzten, die mit dem grünen, denen die Batterien entnommen waren, und die mit dem gelben Punkt, bei denen man sich nicht sicher sei, ob sie noch Batterien enthielten und einen Schock absetzten. Es zeigte sich, dass die Probanden überdurchschnittlich häufig zu den Stiften mit den gelben Aufklebern, d.h. dem unsicheren Ausgang, griffen. Somit zeigte sich, dass für das Neugierverhalten auch aversive Reize in Kauf genommen wurden. [2]

Es sei zu vermuten, dass die Neugier dazu motivieren kann, sich auch Verboten zu widersetzen, bei denen wir uns bewusst sind, dass es dafür einen nachvollziehbaren Grund gibt.

Nervenkitzel und Grenzen testen

Wer kennt es nicht? Manchmal läuft das Leben einfach zu perfekt. Alles plätschert vor sich hin. Furchtbar langweilig, oder? Das Teufelchen auf unserer Schulter streckt sich und flüstert uns ins Ohr: „Willst du wieder ein bisschen Adrenalin spüren?“

Wer sagt da schon Nein, oder?

Wenn gerade kein Flugzeug zur Hand ist, aus dessen Tür man sich nur mit einem Fallschirm auf dem Rücken stürzen kann, greifen wir eben auf andere Adrenalinquellen zurück.

Dieses Verhalten beginnt schon recht früh.

Besonders im Kindesalter war das wohl einer unserer Hauptbeweggründe. Wir wollten testen, wie weit wir gehen können, bis Mama und Papa bemerken, dass wir uns ihrem Verbot widersetzt haben. Wer hat nicht schon einmal heimlich unter der Bettdecke gelesen, obwohl er eigentlich schlafen sollte? Natürlich war es auch der guten Lektüre geschuldet und dem Gedanken „Nur noch ein Kapitel“. Aber die Schritte im Flur und die Aufregung, der schwache Schein der Taschenlampe könnte bemerkt werden, machten das Buch noch einmal viel spannender.

Wenn wir erwachsen werden und es niemanden mehr stört, dass wir uns die Nächte um die Ohren schlagen, suchen wir uns neue Verbote, die wir brechen. Ein Beispiel, an das nun wahrscheinlich viele denken: Fremdgehen! Die Gründe für Affären sind vielfältig: Allgemeine Unzufriedenheit mit der Partnerschaft oder dem Sexualleben, Steigerung des Selbstbewusstseins, fehlende Körperlichkeiten in Langzeit- und Fernbeziehungen, etc. Doch einer von ihnen ist auch der Ausbruch aus dem tristen Alltag und der Nervenkitzel bei der Tatsache, etwas Verbotenes zu tun. Durch das Adrenalin kann man endlich wieder spüren, dass man lebt.

Wir wollen immer das, was wir nicht haben können

Ein Beispiel: Ich habe seit einem Monat keinen Schokokuchen mehr gegessen. Es bestehen diverse Ursachen: Ich hatte keine Zeit und Lust zum Backen, keine Verwendung für einen Kuchen und nicht einmal Appetit auf Gebäck. Kurz gesagt: Ich bin nicht einmal auf die Idee gekommen, meine Zeit am Herd zu verschwenden. Aber heute habe ich mich kurz vor Mitternacht in die Küche gestellt, um mir einen Schokokuchen zu backen. Der Auslöser? Vorgestern habe ich festgelegt, eine Diät zu beginnen und die verbietet mir den Schokokuchen. Aus diesem Grund konnte ich gar nicht anders, als ständig nach Süßigkeiten zu dürsten. Frei nach dem Motto „Denk nicht an einen rosa Elefanten“ schleichen sich die Gedanken an die Naschereien immer wieder in den Kopf. Diesen Effekt beschrieb Wegner auf der motorischen Ebene in seiner Studie „The putt and the pendulum: Ironic Effects of the Mental Control of Action“[3]. Bei einem Experiment sagte er den Probanden, dass sie das Pendel in eine bestimmte Richtung nicht auslenken sollten. Es zeigte sich, dass genau in diese Richtung das Pendel mehr Ausschläge verzeichnete. Das heißt: Je stärker wir etwas versuchen zu unterdrücken, desto mehr Aufmerksamkeit lenken wir auf die Handlung und führen sie so eher aus. [3]

Eine Studie von De Wall et al. [4] versuchte das ebenbeschriebene Phänomen auf romantische Beziehungen zu übertragen. Die Forscher beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit es für Beziehungen schädlich sein könnte, sich selbst zu verbieten, attraktiven alternativen Beziehungspartnern Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu wurden Probanden Bilder von Personen des anderen Geschlechts gezeigt (attraktive & weniger attraktive) und es wurde verhindert, dass den Alternativpartnern viel Aufmerksamkeit entgegengebracht werden konnte. Im Experiment zeigte sich, dass Personen, deren Aufmerksamkeit der Beziehungsalternative entzogen wurde, danach eine geringere Beziehungszufriedenheit und höhere Bereitschaft zur Untreue angaben. Des Weiteren erinnerten sich Probanden aus der Experimentalbedingung besser an attraktive Gesichter als Versuchspersonen aus der Kontrollgruppe. [4]

Verbote lenken uns jedoch nicht nur unbewusst. In vielen Fällen kommt eine bewusste Komponente dazu: Wir fühlen uns in unserer Handlungsfreiheit eingeschränkt und tun alles, um die Ketten zu brechen, selbst wenn wir uns diese Ketten selbst auferlegt haben.

Autonomie beweisen und Freiheit spüren

Laut Erikson beginnt der Mensch bereits mit ein bis drei Jahren, nach Selbstständigkeit zu streben. Dazu gehört auch, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Vor allem in der Pubertät wollen wir uns keine Vorschriften mehr von unseren Eltern machen lassen. Wie könnte man wirksamer beweisen, dass man sich von Mama und Papa nicht mehr einschränken lässt, als sich aktiv ihren Verboten zu widersetzen.

Eine Begründung für dieses Verhalten liefert die Reaktanztheorie. Diese besagt, dass Individuen, sobald sie sich in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt fühlen, Widerstand gegen die Einflussnahme aufbauen und motiviert sind, ein Verhalten an den Tag zu legen, das ihre Freiheit wiederherstellt. [6]

Eine Studie von Keijsers et al. aus dem Jahre 2012 [5] zeigte einen positiven Zusammenhang zwischen dem elterlichen Verbot von Freundschaften und dem Aufhalten der Jugendlichen in normwidrigen Peergruppen zu einem späteren Messzeitpunkt. [5] Somit kann man hier von einem Bumerangeffekt sprechen, d.h. dass die Eltern durch ihr Verbot der Freunde, die sie als schädlich für ihr Kind betrachteten, eine gegenteilige Wirkung erzielten. [6]

Weitere empirische Evidenz für diese Annahme liefert die eingangs vorgestellte Studie von Bushman und Stack [1]. In einem weiteren Experiment überprüften die Forscher, inwieweit die Werte auf der Therapeutic Reactance Scale (TRS) in einem Zusammenhang mit dem Interesse an Filmen mit Warnhinweisen stehen. Es zeigte sich, dass Menschen, die hohe Werte in psychologischer Reaktanz aufweisen, ein stärkeres Bedürfnis entwickeln, Filme mit Warnhinweisen zu schauen, als Probanden mit einer geringen Reaktanz. [1]

Ein drittes Experiment im Rahmen dieser Studie von Bushman und Stack [1] beschäftigte sich damit, ob es einen Unterschied machte, ob der Hinweis auf Gewaltdarstellung in Form einer Warnung oder schlicht als Information geschah. Konsistent mit der Reaktanztheorie und der „Forbidden-Fruit“-Theorie erhöhte lediglich die Warnung, die im Gegensatz zur einfachen Information eine Reaktanz erzeugt, das Bedürfnis, den Film zu sehen. [1]

Fazit

Viele Studien konnten Belege für den „Forbidden-Fruit“-Effekt finden. Wir Menschen neigen dazu, Dinge zu tun, nicht obwohl sie uns verboten wurden, sondern gerade weil sie uns verboten wurden. Erklärungsmodelle hierfür sind vielfältig. Sie reichen von unbewussten, ironischen Prozessen auf der motorischen Ebene (siehe Wegner, Ansfield, Pillof, 1998) über die Suche nach Nervenkitzel und Adrenalin zu einer Reaktanz auf erlebten Freiheitsentzug.

Was können wir daraus für unser alltägliches Leben lernen? Vielleicht sollten wir uns beim Brechen von Verboten fragen, warum wir uns gegen die Regeln auflehnen wollen. Wenn das Brechen des Verbots erstrebenswerter ist als das, was wir dadurch eigentlich erreichen, sollten wir überdenken, ob wir den verbotenen Apfel nicht doch verschmähen sollten.

Viele Verbote gibt es nicht ohne Grund und Früchte können manchmal gar nicht so süß sein, dass sie es wert sind, sich damit zu vergiften.

Quellen:
[1] Bushman, Brad J., Stack Angela D. (1996). Forbidden Fruit Versus Tainted Fruit: Effects of Warning Labels on Attraction to Television Violence. Iowa: State University
[2] Hsee, Christopher K., Ruan, Bowen (2016). The Pandora Effect: The Power and Peril of Curiosity
[3] Wegner, Daniel M. Ansfield, Matthew, Pillof, Daniel (1998). The putt and the pendulum: Ironic Effects of the Mental Control of Action. University of Virginia
[4] DeWall, C. N., Maner, J. K., Deckman, T., & Rouby, D. A. (2011). Forbidden Fruit: Inattention to Attractive Alternatives Provokes Implicit Relationship Reactance. Journal of Personality and Social Psychology
[5] Keijsers, Loes, Branje, Susan, Hawk, Skyler T., Schwartz, Seth, Frijns, Tom, Koot, Hans M., van Lier, Pol, Meeus, Wilm (2012). Forbidden Friends as Forbidden Fruit: Parental Supervision of Friendships, Contact With Deviant Peers, and Adolescent Delinquency
[6] https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/reaktanztheorie/12520 (30.10. 2019, 20:18)

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