Schlussabrechnung bei November- und Dezemberhilfe: Viele (rechtswidrige) Rückforderungen wegen "Überkompensation!" (2024)

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Uns erreichen immer mehr Anfragen von Unternehmen und Steuerberatern zu Rückforderungen bei den November- und Dezemberhilfen nach eingereichter Schlussabrechnung. Die Rückforderungen beruhen auf angeblichen "Überkompensationen", die es nicht geben dürfe. Was verbirgt sich dahinter? Und warum lohnt sich dagegen ein rechtliches Vorgehen? Dies stellen wir in diesem Beitrag dar.

I. Hintergrund

Die November- und Dezemberhilfe waren zwei staatliche Unterstützungsprogramme, die in Deutschland eingeführt wurden, um Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler zu unterstützen, die im November und Dezember 2020 aufgrund von Covid-19-bedingten Einschränkungen erhebliche Einkommensverluste erlitten haben und direkt oder indirekt staatlichen Einschränkungen unterlagen. Diese Maßnahmen waren Teil des umfassenderen Wirtschaftsstabilisierungsfonds, den die Bundesregierung zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie aufgelegt hat.

Im Wesentlichen wurden diese Hilfen als finanzielle Zuschüsse gewährt, die vorbehaltlich einer Prüfung im Rahmen einer Schlussabrechnung nicht zurückgezahlt werden mussten. Die Höhe der Novemberhilfe beziehungsweise Dezemberhilfe beträgt bis zu 75 Prozent des jeweiligen Vergleichsumsatzes des Jahres 2019 (abhängig von der Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld und anderen Corona-Hilfen im gleichen Bezugszeitraum sowie dem Vorliegen der beihilferechtlichen Voraussetzungen, vergleiche 4.1 ff der FAQ) und wird anteilig für jeden Tag im November beziehungsweise Dezember 2020 berechnet, an dem ein Unternehmen tatsächlich vom coronabedingten Lockdown im Sinne der November- beziehungsweise Dezemberhilfe direkt, indirekt oder über Dritte betroffen war (Leistungszeitraum) (vergleiche 1.2 bis 1.5 der FAQ). Bestimmte erzielte Umsätze werden angerechnet (siehe aber sogleich).

Viele Branchen waren im November 2020 für 29 Tage und im Dezember 2020 für 31 Tage von den angeordneten Schließungen betroffen, inklusive Wochenenden. Bei der Dauer der Schließung in Tagen können daher auch die Tage des Wochenendes und andere Ruhetage mit angegeben werden, unabhängig davon, ob an diesen Tagen im Vergleichszeitraum Umsätze erzielt wurden.

Die November- und Dezemberhilfe waren insbesondere für Unternehmen und Einrichtungen gedacht, die aufgrund staatlicher Anordnungen schließen mussten. Dazu gehörten beispielsweise Restaurants, Freizeiteinrichtungen, Kultureinrichtungen, und viele andere. Darüber hinaus konnten auch Unternehmen, die indirekt von den Schließungen betroffen waren, zum Beispiel weil sie hauptsächlich an die geschlossenen Unternehmen liefern, Unterstützung beantragen.

Das Ziel dieser Programme war es, die wirtschaftliche Existenz der betroffenen Unternehmen und Selbstständigen zu sichern und Arbeitsplätze zu erhalten, während die öffentliche Gesundheit durch die Einschränkung von Geschäftstätigkeiten geschützt wurde. Es ist wichtig zu bedenken, dass unsere Erklärung hier eine vereinfachte Darstellung dieser komplexen Programme ist und dass die spezifischen Details und Regelungen je nach individuellen Umständen variieren können.


II. Wieso kann eine "Überkompensation" entstehen?

Eine große Besonderheit dieses Förderprogramms lag in zwei Punkten:

  • Anders als bei den Überbrückungshilfe-Programmen III, III+ und IV kam es nicht auf zu fördernde Fixkosten an, sondern es wurde ein Schaden ersetzt, der durch die staatlichen Schließungsanordnungen entstand – und dieser Schaden wurde insoweit "pauschalisiert": Gerade deswegen wurde eine Hilfe gewährt, die bis zu 75% Prozent des Vergleichsumsatzes 2019 betrug. Auf die Höhe von Fixkosten oder ähnliches kam es in der Logik dieser Hilfen grundsätzlich nicht an.

  • Die zweite Besonderheit bestand darin, dass Außer-Haus-Verkäufe (oder Drive-Through-Angebote) von Gaststätten nicht bei der Bemessung des Vergleichsumsatzes 2019 bzw. der Bestimmung, welcher anrechenbare Umsatz noch im November oder Dezember 2020 erzielt wurde, berücksichtigt werden sollten. Insoweit heißt es unter Ziffer 1.7. der FAQ:

    • Gastronomiebetriebe gelten als direkt betroffen. Im Falle von Gaststätten im Sinne von §1 Absatz 1 des Gaststättengesetzes sind solche Umsätze von der Betrachtung ausgenommen, die auf Außerhausverkäufe zum ermäßigten Umsatzsteuersatz entfallen. Umgekehrt sind solche Umsätze auch vom Vergleichsumsatz zur Berechnung der Novemberhilfe beziehungsweise Dezemberhilfe ausgenommen.

    • Das sollte sicherstellen, dass die Bevölkerung weiter mit gastronomischen Angeboten versorgt wurde, auch wenn Restaurants geschlossen haben. Wären die Außerhaus-Verkäufe nämlich angerechnet worden, hätten Restaurants aus Sicht der Zuwendungsgeber gar kein Interesse mehr gehabt, dieses Angebot noch zu geben.

    • Das führte aber in der Praxis zu einer Kritik: Restaurants, die einerseits bis zu 75% des Vergleichsumsatzes 2019 als November- bzw.- Dezemberhilfe im Sinne eines Schadensausgleichs erhielten, konnten daneben Einnahmen auch aus der Lieferung von Speisen generieren, die nicht angerechnet werden. Folge: Restaurants konnten damit hohe Einnahmen im November bzw. Dezember 2020 durch die November- bzw. Dezemberhilfe erzielen, wenn sie daneben noch Verkäufe außer Haus anboten. Sie konnten damit "Mehr" verdienen, als sie je ohne staatliche Schließungsanordnungen erzielt hätten; das gilt sogar dann, wenn man den Außer-Haus-Verkauf unberücksichtigt lässt, da der Umsatz auch ersetzt wurde, wenn ansonsten keine Kosten (zum Beispiel für den Einkauf von Waren) anfielen

Hieraus ergibt sich nun das Problem der Überkompensation, mithin also das Problem, dass bestimmte Betriebe (nicht nur, aber vor allem Restaurants) bei einer Anwendung der Förderrichtlinien "mehr Einnahmen/Gewinn" im November 2020 bzw. Dezember 2020 erzielten als ohne die Pandemiemaßnahmen und die Förderung. Das wurde auch breit medial diskutiert, aber zunächst von den Bewilligungsstellen nach unserer Wahrnehmung nicht aufgegriffen.


III. Rückforderungen der Bewilligungsstellen

Im Rahmen der Schlussabrechnungen sind nun Bewilligungsstellen offenbar der Ansicht, diesen "Konstruktionsfehler" der November- und Dezemberhilfen heilen zu müssen. Deswegen beschränkt es die Hilfen in der Höhe und es kommt nun zu der Rückforderung einer "Überkompensation".

Der rechtliche Anknüpfungspunkt der Bewilligungsstellen:

  • Die November- und Dezemberhilfen wurden unter dem Vorbehalt einer Prüfung im Rahmen einer Schlussabrechnung gewährt. Diese Prüfung wird als Totalvorbehalt verstanden.

  • Die Bewilligungsstellen verweisen recht unbestimmt auf eine Rücksprache mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der EU sowie auf den Förderzweck, der eine Überkompensation ausschließe.

  • Tatsächlich sehen die Vollzugsregeln des Bundes für die November- bzw.- Dezemberhilfe den Ausschluss einer solchen Überkompensation vor – Unternehmen sollten also nicht mehr an Förderung erhalten, als sie eigentlich durch die staatlichen Maßnahmen an Schaden erlitten.


Unsere Empfehlung – im Einzelfall sich zur Wehr setzen

Wir empfehlen, sich hiergegen im Einzelfall zur Wehr zu setzen, und zwar mit folgenden Argumenten, die wir für unsere Mandanten im Einzelfall sehr stark rechtlich ausarbeiten:

  • Der prüfende Dritte hat die Anträge strikt nach den Förderbedingungen gestellt. Dabei wurden alle Zahlen offengelegt (jedenfalls gehen wir davon in der Regel aus, vorbehaltlich einer Prüfung durch uns).
  • Den Bewilligungsstellen war bekannt, dass nach der Konzeption der Förderlogik eine Überkompensation stattfinden kann. Dennoch wurden die Hilfen wie beantragt gewährt.
  • Wir sind daher der Ansicht, dass trotz der Vollzugshinweise – und etwaig bestehender Absprachen mit der EU – die Unternehmen auf den Bestand der Förderung vertrauen können. Es greift der Vertrauensschutz. Das Prinzip des Vertrauensschutzes ist ein grundlegendes Prinzip des deutschen Rechts und des öffentlichen Rechts im Allgemeinen. Es besagt, dass Bürger darauf vertrauen können sollten, dass staatliche Maßnahmen stabil und konsistent sind und dass sie durch plötzliche und unerwartete Änderungen der Politik nicht unzumutbar belastet werden. Dieser Gedanke kann auch hier fruchtbar gemacht werden.
  • Zudem besteht eine Inkonsistenz: Unternehmen/Restaurants, die beispielsweise dann einen Außer-Haus-Verkauf anboten und Umsätze erzielten, bei denen also "gearbeitet wurde", würden nun nachträglich bestraft, weil diese Umsätze dann doch wieder bei der Frage nach einer Überkompensation berücksichtigt werden.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung in diesem Bereich positionieren wird.

Wichtig: Gegen Rückforderungsbescheide müssen binnen eines Monats nach Zugang Widerspruch oder Klage erhoben werden, abhängig davon, ob das Widerspruchsverfahren in dem jeweiligen Bundesland noch zulässig ist (ansonsten gleich Klage). Erfolgt kein Rechtsbehelf, werden die Rückforderungen bestandskräftig. Widerspruch und Klagen haben aufschiebende Wirkung. Für die Dauer solcher Verfahren müssen keine Zahlungen geleistet werden.

Wenn Sie Fragen zu der Thematik haben, sprechen Sie uns gerne an.


Über die Autoren

Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher. Er berät Unternehmen und den öffentlichen Sektor, vor allem in komplexen Rechtsfragen des Öffentlichen Rechts und bei Streitigkeiten. Er berät seit 2020 schwerpunktmäßig auch in den Corona-Hilfsprogrammen des Bundes und der Länder.

Tanja Ehls begleitet als Rechtsanwältin im Frankfurter Büro von Fieldfisher regelmäßig Zuwendungsempfänger bei der Antragstellung und Abstimmung mit dem Zuwendungsgeber sowie bei der Dokumentation und dem Berichtswesen. Sie vertritt eine größere Zahl von Mandanten derzeit gegenüber Behörden und Förderbanken bei den Corona-Überbrückungshilfen.

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